Freiheit, die ich meine
Sich wegdenken. Verreisen ging nicht. Irgendwohin fahren war nicht möglich. Die Erde verseucht. Da bleiben, wo man gerade war und lesen oder sich wegschreiben. Wie ging das vom Jetzt und Hier, was doch ständig bewegte. Und dann war sie doch unterwegs. Anders als sonst. Gar nicht so einfach. Früher ging das besser, weil das Jetzt leichter war, beschwingter, freier. Diese Freiheit war so selbstverständlich, dass sie sie nicht wahrnahm. Erst jetzt wurde sie ihr bewusst und dankbar in einer Demut, die Jette berührte und bewegte, wieder auf eine andere Art, und so bewegte sie sich doch. Sie und die Erde, die sich drehte. Die krank war. Immer mehr erkrankte, weil sie nicht geliebt wurde. Nicht so, wie Liebe sein sollte. Nehmen und auch geben, unbedingt, bedingungslos.
Sie liebten die Erde, die Natur, die Wanderungen, den Garten, die Blumen, die Gräser, die Käfer, die Schmetterlinge, die Vögel und noch viel mehr. Auch das Meer, so sehr liebte Jette es, weil es Weite schenkte, wie ihre Heimat, der flache Niederrhein.
Oft vergassen sie, der Natur etwas zurückzugeben: Sorgfalt. Wie öfter mal das Rad benutzen als den kleinen Italiener. Da hatte sich Jette ertappt. Es gab so viele Möglichkeiten, die sie vergaßen, weil sie mit sich selbst beschäftigt waren. Mit ihrem Glück und ihrem ganz normalen Wahnsinn. Höher, weiter, besser, schneller.
Irgendwann hatten sie den Punkt erreicht, wo nichts mehr ging und die Bewegung stand still. Nichts ging mehr und das Rad konnte auch erstmal nicht mehr in Bewegung gesetzt werden. Sich so einfach wegdenken in diesen Zeiten, bemerkte Jette, das ging nicht, weil das Jetzt so präsent und so massiv war, und so blieb sie stehen und dachte sich hier weiter. Das Vergangene half jetzt nicht. Sie mussten weiter. Egal wie.
Die Erde drehte ihre Runden, dieses Rad lief, und die Sonne schien so hell. Wieder mal. Das war gut und machte ihn hell. Den Tag und den Sinn und die Vögel tirillierten, als sei nichts geschehen und sie flogen weiter. Alles so wie immer. Keine Veränderung. Doch. Es wurde Frühling. Mittendrin. Die Tulpenbäume waren schon fast verblüht. Die Brombeerranken gekappt, gezogen aus dem Gewirr der Büsche, die Arme verkratzt, entzündet und blau. Ein Osterfeuer fand nicht statt, das wussten sie schon jetzt. Solche Dinge waren schon jetzt sichtbar. Kleine Zukunft. Kleines Wissen. Winziger Virus. Mit Macht. Die auch die Mächtigen vor ein Ultimatum stellten. Kleiner als ein Käfer fühlte sich Jette im großen Universum.
Die Klappe klappte. Das ging noch. In der Früh kein Brief, die wurden sowieso immer seltener. Bestimmt die Zeitung mit Nachrichten vom Niederrhein. Die andere, das andere Blatt, das rheinische, lag im Büro. Verrückte Welt. Dort konnte sie nicht hin, nicht nur jetzt nicht, sondern immer schon. Strukturen, die nicht verändert wurden, weil Menschen das so wollten. So tickt die Welt und die Erde dreht sich weiter mit ihren eigenen Gesetzen und so geht das dann auch, und ihr sind sie nicht mehr wichtig. Diese Gegebenheiten. Jedenfalls diese nicht. Für eine Veränderung wird sie sich nicht mehr einsetzen, auch wenn es sie ärgerte, manchmal immer noch.
Weiterdenken in wesentlichen Bereichen, die mehr bereicherten im besten Sinn. Geld meinte Jette damit nicht. Werte und Weite im Sinn. Offen sein! Für die Belange, die Befindlichkeiten, die Ängste und Sorgen, für neue Ideen. Auch für das Glück, das verinnerlichte, das trug, das träumte. Das sie fliegen ließ in Gedanken. In die Landschaften, die sie erlebt hatte. Die Weite des Meeres, einer weiten Geest dahinter auf dem Land mit dem Blick von der Insel zum Festland hin. Wie eine Steppe fühlte es sich an, ging der Blick darüber hinweg, und die Hitze des Sommers zeigte ein Flimmern und Surren der Luft wie einen Schleier, und die Insekten brummten und zirpten, und sie wurde still.
Dort. Und hier. Und sie war gegangen und hatte gedacht sich in das Vergangene, das stärkte. So ging das, und die Zukunft und das Gegenwärtige wurde leicht, leichter als zuvor. Und sie konnte weitergehen und freute sich auf den Tag. Der hell war schon so früh. Weil die Sonne mithalf und die Vögel auch. Gott sei Dank. Und so ging es weiter. Hier. Und der Häcksler surrte vom kleinen Glück.
©geertjens ©wandelsinn
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