Niederrhein und Meer
Unterwegs durch Raum und Zeit
Ich lese viel, sagte Gesa zu ihr. Und ich genieße die Zeit, das Langsame, keine Termine, ergänzte sie. Ja, so erging es ihr auch, dachte Jette. Ohne diese Gefahr könnte es so bleiben. Nicht ganz so, aber ähnlich. Jette wollte es sich merken, immer wieder daran denken, an diese Zeit. Ihr war schon vor dieser Zeit, die sie jetzt erlebten, aufgefallen, dass sie zu oft unterwegs war. Das hatte sie zu Alice gesagt. Das Erlebte wollte aufgesogen werdern, reflektiert werden, und dann kam doch schon das Nächste.
Jette nannte man einen bunten Hund in allen Gassen. Ja, sie liebte die Vielfalt. Aber... Doch. Sie suchte sich aus, wo sie sein wollte, und es klappte immer besser.
Die Entdeckung der Langsamkeit, die sie schon vor vielen Jahren entdeckte, die ihr zufiel, die sie leben wollte und das auch oft tat und das Tun in eine Schublade legte, die sie ausmistete und sie war frei. Wie jetzt, die Sonne ging auf, einen Schluck Kaffee zwischendurch und der Papiertänzer wurde langsam stumpf. Da musste wieder Spitze her. Kein höher weiter schneller, ein bedächtiges Weiter auch auf dem Papier, in der Kladde, und so verging die Zeit auch so. Viel zu schnell.
Gestern war sie wiedermal gerannt. Durch die klare Luft, die ihr entgegen kam und die sie verdichtete. Ein Gedicht!
Henriette am Telefon wunderte sich auch, wie die Zeit verging. Schon wieder ist der halbe April vorbei vom Jahr, das hatte doch gerade erst angefangen, meinte sie. Ganz am Anfang des Jahres ahnten sie nichts von dieser Zeit, in der sie sich befanden, dieser so gefühlt surrealen Zeit, dachte Jette. Und dann im Januar kamen die ersten Meldungen. Aus China. Weit weg. Birger war da schon anderer Meinung. Als Naturwissenschaftler hatte er einen anderen Blick darauf. Und so pflückte er auch Alice mal wieder aus der Luft. Sie war mit dem Schönen beschäftigt und auch mit der wundervollen Natur und wollte davon nichts wissen. War da Birger nicht zu skeptisch, wieder mal?
Natur, die sie aufsog, die sie hörte, wie jetzt die Meisen mit ihrem Stakkato, die den Tag besangen, nachdem sie ihn mit anderen Vögeln in verschiedensten Lauten begrüßt hatten und Alice lauschte. Dann warf sie die Decke zur Seite, stand auf und freute sich auf die Zeit vorm Aufstehn. Alles ruhig, der Tag konnte kommen. Sie hatten Glück in dieser Zeit, in der die Sonne das volle Programm zeigte und sie die Natur, den Garten, die Pflanzen, das Grün genossen. Ob und bald auch das Meer, das geplant, nach dem sich Alice sehnte und Jette fast noch mehr, das wusste keiner.
Das war das Vergangene, dass sie vermissten. Wonach sie sich sehnten. Henriette auch. Mit drei Fragezeichen hatte sie Chrissi und Yannis gefragt in einem Brief, ob sie sich sehen würden auf der Insel. Wer weiß das schon in diesen Zeiten. Abwarten und Tee trinken, vielleicht zu Hause mit Sehnsucht im Blick, Augen, die den Horizont suchten. Über das Wasser glitten. Den Dampfer mit den Augen verfolgten. Jetzt wurden die Wellen höher und schwappten bis an die Hosenbeine, die Alice hochgerollt hatte und doch nass wurden. Das war so egal, wie damals, als sie auf der Mole saß auf Priwall und vor lauter Glück die Beine ins Wasser hängte samt den Schuhen, die sie noch an hatte. Auch dort hatte ein Boot die Wellen höher schlagen lassen wie das Herz, das fast zersprang. Und sie jauchzte. Glückselig. So war das. So fühlte sich das an.
©geertjens ©wandelsinn
Geertje Jürgens Wallasch
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