Die letzten ihrer Art
von Maja Lunde/ btb 2019
Maja Lunde ist eine norwegische Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Sie hat auch u.a. ein wunderbares Kinderbuch "Die Schneeschwester - Eine Weihnachtsgeschichte" geschrieben. Dieses Buch wird Ende dieses Jahres in unsere Kinderzimmer einziehen!
Was ist das Wundervolle an Büchern?
Sie verbinden dich mit der Welt,
da draußen.
Sie verbinden dich mit einer Welt,
die du manchmal nicht verstehst.
Sie verbinden dich mit deiner Welt.
Mit deiner,
die du dann besser verstehst.
©geertjens ©wandelsinn
Dieses Buch habe ich sehr genossen und ich war traurig, als ich es zu Ende gelesen hatte. Aber auch traurig, weil ich etwas noch besser verstand, was ich eigentlich schon immer wusste. Was ich erahne, aber nicht greifen kann. Begreifen schon gar nicht. Wie will ich etwas verstehen, was ich nie erlebt habe, nur aus den Nachrichten der Welt vermeintlich kenne. Krieg. Kriegserlebnisse. Traumata.
Ich begreife meine Mutter etwas besser, wiedermal. Hier am Ende dieses Buches. Mehr dazu möchte ich hier nicht verraten und es gehört hier auch nicht hin. Vielleicht.
Dieses Buch las ich gerne, auch weil es die Zeiten von früher erzählt. Und dann wieder die Gegenwart berührt. Mit unseren Problemen. Akut dem Klimawandel.
Das macht Maja Lunde sehr gut. So etwas gefällt mir sehr. Vielleicht auch, weil mein eigenes Schreiben immer wieder kleine Botschaften enthält, die mir wichtig sind. Und die Autorin macht es so gut, dass es nicht ins Gewicht fällt, nicht belehrend wirkt.
„Die letzten ihrer Art“ sind Przewalski-Pferde, auch Takhi genannt, mongolische Wildpferde, die bisher für die einzige Unterart des Wildpferds gehalten wurden.
Das Buch erzählt von der Leidenschaft zu Tieren, diesen Urpferden. Von den Leidenschaften der Menschen, ihren Beziehungen. Maja Lunde bringt drei Erzählstränge, die jede für sich, spannend und ergreifend zu lesen waren. Mich hat es gepackt und nicht mehr losgelassen. Sehr gut konnte ich mich in die verschiedenen Welten und Zeitebenen einfinden. Es spielt in St. Petersburg 1881. Mongolei 1992, Norwegen 2064. Im letzen Kapitel des Buches befinden wir uns wieder in der Mongolei im letzten Jahr: 2019.
1992, als die ersten Takhis wieder in ihre natürliche, ursprüngliche Umgebung gebracht werden. Ein schwieriges Unterfangen. Karin, eine Tierärztin, fast als ein Nerd in der Natur unterwegs, bewältigt ihre Aufgabe mit einer großen Bereitschaft, den anderen Dingen, die auch wichtig wären, unterzuordnen. Ihr Leben gilt den Tieren, den Pferden. Sie fragt sich selbst, ob das der Grund ist, dass ihr Sohn drogensüchtig wurde, nicht nur einmal. Hat sie ihn vernachlässigt? Ist sie eine gute Mutter? Sie ist davon überzeugt, es nicht zu sein, hinterfragt es immer wieder, ist aber schnell wieder mit ihrer Aufgabe beschäftigt, die Takhis in ihre ursprüngliche Welt zurückzuführen.
2064 ist die Erde fast schon kollabiert. In dieser Zeitgeschichte leben Eva und ihre Tochter Isa. Ganz allein auf einem Hof, den sie mit dem Wenigen bewirtschaften, was sie noch haben. Die Menschen wandern. Es sind die Wanderer, denen Eva begegnet auf den Straßen in den Norden. Dort hofft sie kleine Dörfer zu finden. Dorfgemeinschaften. Eva trifft sie nicht gerne, die Wanderer, wenn sie auf dem Weg ist zum Hafen, um Waren zu tauschen. Zum Überleben. Sie möchte nicht beeinflusst werden, nicht mit den Wanderern sprechen, nicht mit ihnen gehen. Isa will dies sehr. Sie ist vierzehn Jahre jung und möchte in die Zukunft wandern. In ihre verheißungsvolle Zukunft. Egal, wie die aussehen mag. Hier hält sie nichts mehr. Die Vorräte schrumpfen. Sie kann nicht verstehen, dass die Mutter bleibt. Wahrscheinlich hauptsächlich wegen Nike und Puma, den beiden letzten Pferden auf dem Hof.
1881, in St. Petersburg weist ein Pferdekopf, das Skelett, die Überreste vom Fell auf einen Takhi, ein mongolisches Wildpferd, hin. Eine Expedition in die Mongolei nimmt ihren Lauf.
Der Sommer arbeitete sich langsam voran, ging von den lindgrünen Knospen über zum satten Grün der vollen Entfaltung und schließlich zum Bräunlichen, das von einem zarten Hauch der Vergänglichkeit unweht wurde. Die Natur bewegt sich immer voran, der Wechsel der Jahreszeiten ist unaufhaltsam, unverdrossen, unabhängig von allem anderen. Unabhängig davon, ob die eigene Welt Kopf steht, ob die Seele in Aufruhr ist, wird der Wandel der Jahreszeiten immer da sein; und mit ihm geht auch ein Wandel in einem selbst einher. Denn es ist tatsächlich wahr, dass die Zeit alle Wunden heilt, und deshalb werden die Veränderungen der Natur, die eigentlich keine Veränderungen sind, sondern vielmehr ein ewiger Kreislauf, in dem alles wieder und wieder geschieht, auch das Innere eines Menschen ändern. Dieser Kreislauf der Natur ist eine unumstößliche Regel, dachte ich, nichts kann diesen Wandel aufhalten, dass der Herbst zum Winter führt, der Winter zum Frühling. Ich klammerte mich an die Regeln der Jahreszeiten und dachte auch an die Bestimmungen, die für mich galten, an Wilhelms Regeln. Ich vertraute ihm mehr als jedem anderen Menschen auf dieser Welt, und deshalb, genau deshalb, musste ich seinen Wunsch akzeptieren. Doch es wollte mir einfach nicht gelingen.
Den ganzen Sommer schrieb ich an ihn. Meine ersten Versuche waren voller Härte, voller Ironie, voller Schmerz, meine Worte richteten sich ebenso gegen ihn wie auch gegen den Rest der Welt. Liegt da nicht etwas im Argen, schrieb ich, wenn unsere Welt die schönen Dinge verbietet. Und auch mit ihm könne etwas nicht stimmen, wenn er vor unserem Glück davonlaufe.
Soweit ein kleiner Ausschnitt aus dem Zeitabschnitt des 19. Jahrhunderts in diesem Buch.
Wer mich etwas näher kennt, weiß, dass auch dieses sehr mit meinem Wandelsinn zu tun hat. Schon mehrfach erörtete ich den Begriff Wandelsinn meinen Lesern und Leserinnen in seinen vielfältigen Facetten.
Dieses Buch: Die letzten ihrer Art, ist der dritte Teil eines literarischen Klimaquartetts von Maja Lunde. Das erste Buch in der Reihe ist
Die Geschichte der Bienen
Das zweite Buch trägt den Titel:
Die Geschichte des Wassers
Alle Bücher sind in sich abgeschlossene Romane.
„Die Geschichte des Wassers“ liegt auf meinem Schreibtisch. Ich bin gespannt darauf! „Die Geschichte der Bienen“ las ich ebenfalls sehr gerne, leider nicht zu Ende. Mir kam der Alltag dazwischen. So gab ich es meiner Nichte, die von dem Buch so angetan ist, das es nun auf ihrem Nachttisch liegt. Immer noch. Ausgelesen!!!
Ich laufe an ihnen vorbei. Ich lese über sie. Die Pferde. Die Sonne lugt hinter den Wolken hervor und streichelt ihr Fell. Es reflektiert das helle Licht. Meine Hand streichelt über ihren Hals, tätschelt den Körper, fährt vorsichtig über ihre Nüstern. Ich liebe sie, ich achte sie. Die Pferde. Es sind ganz besondere Wesen. Und auch deswegen las ich dieses Buch so gerne: Die letzten ihrer Art. Von Maja Lunde. Dieses Buch lässt mich Pferde nochmal mit ganz anderen Augen sehen.
Ich bin keine Pferdenärrin. Ich kenne ihre Art nicht gut. Aber für mich sind sie etwas ganz Besonderes. Ich sehe sie gerne. Sie haben so etwas Natürliches, Verbindendes, Verbindliches. Hier am Niederrhein gehören sie schon länger zum Landschaftsbild. Eine Augenweide. Wenn ich ihnen während meiner Läufe begegne, spreche ich mit ihnen. Ich laufe vorbei oder halte auch mal an, für einen Dialog.
©geertjens ©wandelsinn
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